In­ter­view mit dem Re­gis­seur Wie­der­mann

Ein Stück ohne Kitsch und Dar­stel­ler mit Herz: Wie maß­ge­schnei­dert für Platt­ling

Regisseur Andreas Wiedermann inszeniert das Plattlinger Nibelungenspiel nunmehr zum dritten Mal – und setzt in seiner Neuauflage 2018 noch mehr auf mythische Effekte. Warum der 39-jährige Straubinger, dessen Produktionen mitunter bereits an den Theatern Trier und Regensburg, im Münchner Gasteig und am Bayerischen Staatsschauspiel zu sehen waren, immer wieder gerne mit Amateur-Darstellern arbeitet und was ihn an Plattling als Festspielort fasziniert, verrät er im Interview:

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Welche Figur aus dem Nibelungenlied mögen Sie am liebsten?

Andreas Wiedermann (lacht):
Nun, die Protagonisten des Nibelungenlieds sind ja nicht unbedingt Sympathieträger. Die Figuren haben mehrere Seiten – und sie lassen auch den Blick hinter ihre Fassaden zu. Ich mag die Frigga sehr gerne. Zwar ist sie eine absolute Nebenfigur, aber gleichzeitig eine sehr gute Bewahrerin. So weiß sie zum Beispiel, dass die Gesetze von Liebe und Begierde immer in den Abgrund führen. Das weissagt sie auch ihrem Schützling, der Brunhild. Auch die Königinmutter ist eine sehr schöne Figur – und ebenfalls eine Bewahrerin wie Frigga. Vermutlich arbeiten wir im Nibelungenspiel die beiden Rollen noch ein bisschen stärker heraus.

2018 verantworten Sie die Regie des Plattlinger Nibelungenspiels zum dritten Mal. Erwartet die Besucher die gleiche Inszenierung wie in den Jahren 2010 und 2014 oder gibt es Neuerungen im Konzept?

Andreas Wiedermann:
Es muss immer Neuerungen in der Dramaturgie geben, man darf ja weder das Publikum noch sich selbst langweilen. Den zeitgenössischen Rahmen, den wir dem Stück bislang verpasst hatten, wird es 2018 nicht mehr geben. Stattdessen werden wir uns mehr auf das Mythische des Nibelungenlieds beziehen, nämlich auf die Vorgeschichte. Gerade Siegfried, der strahlende Held, hat ja eine ganz bewegte Vergangenheit: Dass er der einstige Liebhaber Brunhilds war, entfaltet später das Eifersuchtsdrama am Wormser Hof. In einem Vorspann aus mehreren stehenden Bildern wollen wir die komplexen Bezüge des Nibelungenlieds verdeutlichen.
Auch der Grundton der Aufführung wird sich verändern: weg vom reinen Spieldialog hin zum Liedhaften. Überdies wird der neue Spielort dem Stück eine andere Atmosphäre aufprägen. So muss das Bühnenbild zum technisch-funktionalen Eindruck des neuen Raums passen. Wir werden viel mehr mit Projektionen arbeiten, die das Stück nicht mehr ganz so haus- und handgemacht aussehen lassen.

Was zeichnet Plattling als Festspielstadt aus?

Andreas Wiedermann:
Plattling hat diesen unkitschigen, etwas rauen niederbayerischen Charme, der der Handlung und den Figuren des Nibelungenlieds haargenau entspricht. Im Gegensatz zur Zuckergusswelt anderer Festspielstädte ist Plattling sehr authentisch – auch, weil sich dessen Bürger ganz stark mit dem Nibelungenspiel identifizieren. Das sieht man zum Beispiel an den Kostümwelten der Leute, am historischen Markttreiben oder am beständigen Bemühen, neue Mitwirkende zu motivieren.

Woran liegt der Reiz, mit Laienschauspielern zu arbeiten?

Andreas Wiedermann:
Amateure haben eine unverbrauchte Empathiefähigkeit. Das ergibt eine ganz eigene, authentische Energie auf der Bühne, die schlichtweg mit dem Herzen denkt. Darstellende Kunst braucht immer ein gehöriges Maß an Naivität – im positiven Sinne. Auf den Profibühnen geht diese Naivität leider oftmals verloren, weil man ständig nach der Frage hinter der Frage sucht. In seiner Farbigkeit und Sinnlichkeit hat Theater jedoch etwas sehr Naives – was Amateure einfach sehr gut auf die Bühne bringen können.

Gibt’s auch Schwierigkeiten?

Andreas Wiedermann:
Natürlich, zum Beispiel in der Bühnenpräsenz. Wichtig ist die Selbstwahrnehmung des eigenen Körpers. Die Darsteller müssen immer daran arbeiten, ihre Körperspannung zu erhalten. Man hat ja in jeder Sekunde auf der Bühne eine Figur darzustellen und darf nicht einfach aus der Rolle aussteigen. Die größte Herausforderung aber ist die Sprache: Mit einem nichtgeübten Sprecher muss man viel mehr an der Betonung und Akzentuierung arbeiten als mit einem Profi.

Wie schaffen Sie es, dass sich das Publikum mit den Figuren auf der Bühne identifiziert?

Andreas Wiedermann:
Die Menschen haben irgendwie immer den Wunsch, sich in andere Zeiten zu versetzen und damit aus unserer technischen, standardisierten und genormten Welt auszubrechen. Diverse Hollywood-Filme oder Serien wie „Game of Thrones“ bestätigen dies. Demnach sehnen sich die Leute in eine ganz eigenartige, fiktiv-mittelalterlich geprägte Urzeit zurück – die Ruppigkeit, Brutalität und animalische Welt erstaunlicherweise inklusive. Beim Nibelungenlied wird eine höfische Welt dargestellt, die zunächst nach Regeln funktioniert. Sie bricht im Verlauf der Handlung aber aus ihrem höfischen Korsett aus und fällt in die Barbarei zurück.

Was können die Zuschauer vom Nibelungenlied lernen?

Andreas Wiedermann:

Es dient hoffentlich als ewige Mahnung davor, einem falsch verstandenen Ehrbegriff zu folgen. Die thematisch oft missbrauchte Nibelungentreue basiert auf einem ganz seltsamen Verständnis der „pacta sunt servanda“ (dt. für „Verträge sind einzuhalten“, Anm. d. Red). Jedoch muss man Ehrbegriffe, die man über Jahrzehnte oder Jahrhunderte als richtig erachtet hat, auch mal über Bord werfen bzw. für die moderne Gesellschaft neu interpretieren. Letztlich geht’s im Nibelungenlied auch darum, kritikfähig und nicht autoritätshörig zu sein.

Zurück nach Plattling: Wie machen Sie sich mit den Darstellern des Nibelungenspiels vertraut? Seit der letzten Aufführung sind ja doch vier Jahre vergangen...

Andreas Wiedermann:
Es ist natürlich leichter, mit Leuten zu arbeiten, die man schon kennt. Da ist das Vertrauen schnell wieder hergestellt. Zuvor jedoch muss man mal schauen, wo die Leute gerade stehen – und sie dann in ihren jeweiligen Lebenswirklichkeiten abholen.

Wann beginnen die Proben?

Andreas Wiedermann:
Nächstes Jahr im Mai. Zuvor gibt’s noch ein Casting, um die Anzahl der Darsteller zu sondieren und geeigneten Nachwuchs zu sichten. Denn den brauchen wir für die Neuauflage im Juli 2018 unbedingt.

Interview mit dem Regisseur Wiedermann

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